Wenn neue Schüler mein Klarinettenzimmer zum ersten Mal betreten, sind die ersten Momente sowohl für den Schüler als auch für mich sehr entscheidend und getragen von einem Mix verschiedener Gefühle.
Die Schüler schauen sich um und versuchen, sich zu orientieren. Ich begrüße sie mit großem Enthusiasmus in unserem Klarinettenzimmer, aber gleichzeitig werfe ich einen Blick auf sie aus dem Augenwinkel, ohne dass sie sich beobachtet fühlen. Es ist erstaunlich, wie verschieden Kinder in einer neuen Situation reagieren.
Die erste halbe Stunde ist ein Konzentrat vieler neuer Infos und Impulse für mich und für den neuen „Klarinettisten“. Größte Konzentration und Wahrnehmungsfähigkeit ist von meiner Seite erforderlich, um einen realistischen Eindruck erlangen zu können. Ich muss schnell viele Elemente erkennen und möchte gleichzeitig mein Gegenüber verstehen, damit er sich wohl fühlt. Ich stelle mich wie eine Gefährtin für das Erleben einer neuen Erfahrung daneben und richte mich nach dem Schüler, um das wichtigste Zeichen auslösen zu lassen: Den Blick des Einverständnisses.
Das erst ist für mich der Zeitpunkt, an dem ich als Lehrerin ins Spiel komme. Dieser Blick, wonach ich strebe, ist die Voraussetzung, um das Wichtigste aufbauen zu können: Die Empathie. Mit Empathie meine ich hier diese erste Verbindung zwischen uns, die nicht nur die Basis eines dauerhaften Verhältnisses und erfolgreicher Arbeit ist, sondern auch Grundlage von Vertrauen und Glaubhaftigkeit.
Wie gesagt, jeder Schüler ist anders und keiner hat das einzig richtige Patentrezept oder die untrüglichen Richtlinien dafür. Woran orientiere ich mich dann? An den Augen und den Gesten. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Augen oft mehr als die Worte verraten, und dass die Formen der non-verbalen Kommunikation ein gutes Mittel sind, um die Innerlichkeit der Schüler zu entschlüsseln.
In dieser „Probestunde“ oder bei diesem „ersten Kennenlerntermin“ drehen sich viele Überlegungen und Gedanken in meinem Kopf. Ich versuche mich in die Schüler einzufühlen. „Was denken sie?“ – „Fühlen sie sich wohl?“ – „Kommt ihnen meine Aussprache zu hart vor?“–
Naja, eigentlich habe ich in diesem Moment nicht so viel Zeit, um nach einer Antwort zu suchen; ich muss etwas tun!
Ja, aber was?
Oft hatte ich mir vorab ein Schema überlegt, das ich verfolgen wollte. Das war aber häufig gar nicht realisierbar, weil die Schüler anders als erwartet reagierten.
Ich musste meine Pläne also schnell umstellen und ein bisschen improvisieren. Improvisieren bedeutet nicht, die erste Stunde dem Zufall zu überlassen und unüberlegt, die ersten Konzepte einzuführen, sondern sich auf die Schülerreaktion einlassen und mithilfe des Bauchgefühls den richten Weg zu finden, um eine Kommunikation entstehen zu lassen.
Ganz deutlich gesagt: Mit kleinen motivierten Schülern, die voller Energie und Elan zielgerichtet zu uns kommen und die von der Familie unterstützt werden, sind wir alle gute und tolle Lehrer.
Was passiert aber dann, wenn wir uns mit einem anderen Szenarium konfrontiert sehen?
Dann müssen wir langsam in die Realität zurückkehren und flexibel sein, um den richtigen Zugang zu diesem Schüler zu finden. In den letzten Jahren habe ich so viele neue Schüler und Familien kennengelernt, sodass ich die verschiedensten Erfahrungen sammeln konnte. Ich kann mich (noch) an fast alle ersten Stunden meiner Schüler erinnern und das ist genau das, was mir mit den neuen Schülern hilft. Der Überraschungsfaktor ist immer dabei und damit müssen wir leben.
Obwohl ich in den ersten Probestunden ein bisschen Aufregung und Unsicherheit fühlte, muss ich ehrlich sagen, dass ich diese Art des ersten Kennenlernens zunehmend schätze und faszinierend finde.
Als Musikpädagogen sind wir immer in neuen Situationen mit neuen Menschen, die wahrscheinlich davor noch nie oder wenig Erfahrung mit Musik hatten.
Unsere Aufgabe ist es, den richtigen Schlüssel zu finden, um die Kleinen und die Großen in unsere musikalische Welt eintreten zu lassen und parallel dafür zu begeistern. Es ist eine kleine, aber große Herausforderung, die mir neue positive Impulse gibt.
Habe ich eine feste Routine für meine Probestunde?
Bis zu einem gewissen Punkt schon, aber darüber hinaus lasse ich mich von meiner Intuition (und Erfahrung) leiten. Wie gesagt, ich lasse mich überraschen! Grundsätzlich finde ich es interessant, wie der Klarinettist und Pädagoge Paul Harris seine Vision über die erste Probestunde mit kleinen Schülern in seinem Buch „Teaching Beginners“ verdeutlicht.
Die Erklärung der „Four Ps“-Methode – Posture, Puls, Phonology and Personality ist eine gute Basis für eine vielfältige Gestaltung eines ersten Treffens. In jedem Schüler wird eine Eigenschaft davon vorherrschen, die ich als Start und Impuls für die erste Zusammenarbeit nehme und an die ich mich „klammern“ kann, um die anderen Elemente im Unterricht einzuführen.
Wenn die Schüler schon Vorkenntnisse haben, ist der Zugang ein bisschen einfacher, da Notennamen und Notenwertekenntnisse sowie Rhythmuskenntnisse vorhanden sind. In diesem Fall kann ich direkt mit den Klarinettengrundkonzepten starten. Falls diese Grundkenntnisse nicht vorhanden sind, muss ich Theorieelemente mit Klarinettenkonzepten einführen (Haltung, Ansatz und Anstoßen). Eine Sache ist klar: Die Schüler kommen und sie erwarten, dass sie die Chance haben, das Instrument zu spielen. Sie müssen nicht das Gefühl haben, dass alles einfach und sofort machbar ist, aber durch die Faszination für das Instrument müssen sie angespornt sein, um dafür Zeit zu Hause zu investieren.
Kleine Tricks sind aber immer dabei:
Da ich zwei Klarinetten besitze, mache ich es immer so: Ich lasse eine Klarinette auf dem Klarinettenständer, damit die gesamte Übersicht über das Instrument die Schüler hoffentlich begeistert. Die andere Klarinette lasse ich im Koffer und packe sie mit den Schülern gemeinsam aus.
Ich lege viele Blättchen auf den Tisch und daneben viele bunte Noten, aus denen ich das erste Arbeitsblatt für die neuen Schüler aussuche.
Auf den Notenständer lege ich einen Notizblock mit einem schönen Stift und Aufklebern, die ich oft für meine Stunde benutze: „Also das ist für dich, damit wir den Inhalt unserer ersten Stunde notieren können…und nicht nur das“.
Normalerweise weiß ich schon ein bisschen von der Vorgeschichte der Schüler und deswegen wende ich mich so an sie: „Ich weiß schon, dass du so schön Blockflöte spielen kannst.“, „Ein kleiner Vogel hat mir gesagt, dass du so gut die Noten lesen kannst“.
Hier möchte ich euch einige echte Beispiele für die spannendsten Probestunden-Geschichten geben, die ich in den Jahren gesammelt und erlebt habe.
– Es ist sicher auch euch schon passiert, dass der Schüler nicht mitmachen oder spielen will. Es ist keine optimale Situation, aber es ist nicht alles verloren. Ich erinnere mich noch an eine meiner ersten Probestunden in Berlin. Da gab es nicht die Möglichkeit, viermal zu schnuppern wie es in vielen Musikschulen heutzutage möglich ist. Der 7-jährige Leo kam mit seiner Mutter zu mir. Er saß die ganze Zeit auf Mamas Schoß und wollte sich nicht zu mir umdrehen. In dem Moment wusste ich nicht so richtig, was ich machen sollte. Dann fing ich einfach an, frei zu spielen. Er dreht sich langsam zu mir um. Dann sagte ich „Oh nein, heute will die Klarinette gar nicht spielen und ich brauche unbedingt die Hilfe einer zweiten Person, die schon ein bisschen Ahnung von Musik hat“. Und die Mama spielte mit und sagte daraufhin: „Naja, ich bin nicht die Richtige dafür, aber mein Sohn vielleicht schon. Er spielt schon seit einem Jahr Blockflöte!“ „Wunderbar“, sagte ich „hilfst du mir bitte? Schau mal, es geht so“. Ich habe den Klarinettenkörper leicht zu ihm umgedreht, damit er die Klappe gut greifen konnte. Ich habe in die Klarinette gepustet und ihn frei greifen lassen, um einige Töne erzeugen zu können. „Jetzt geht es viel besser. Vielen Dank für‘s Mitmachen.“ Es hat ganz gut funktioniert und bereits nach kurzer Zeit konnte ich ihn dazu überreden, die Klarinette auszuprobieren. Diese Methode würde ich sehr empfehlen. Ausprobieren kostet nichts!
– Eine sehr motivierte Schülerin kam zum Schnupperkurs: Großartig! Ja, aber Achtung. Sie meinte, sie hätte ALLES zu Hause schon ALLEIN gelernt! „Packen wir jetzt die Klarinette aus und ich zeige dir, wie du das Blatt an dem Mundstück befestigen kannst“, sagte ich. „Das weiß ich schon. Ich habe zu Hause auch die ersten Töne allein hingekriegt.“ Ich schaute das das Mundstück an und bemerkte, dass es falschherum zusammengebaut war. Das Blättchen war vorne und die Zähne bissen darauf! Sie war mit sich selbst so zufrieden, dass ich sie nicht enttäuschen konnte. „Das ist klasse“, sagte ich. „Ich habe einen super Tipp für dich. Wenn du das Mundstück umdrehst und das Blättchen auf die Unterlippen setzt, wird es noch besser klingen. Probiere es mal aus.“ Sie war happy, dass die Töne nach dieser Umstellung noch besser rauskommen konnten.
– Berlin: Eine 8-jährige Schülerin kam alleine zur Probestunde. „Ich will nicht Klarinette spielen. Ich wäre gerne bei der Blockflöte geblieben, aber meine Mutter sagt, dass Blockflöte kein richtiges Instrument ist“. Erstaunt sagte ich: „Naja, Blockflöte ist ein sehr schönes und vielfältiges Instrument, aber auch die Klarinette verdient eine Chance. Ich will mich nicht aufdrängen und dich gegen deinen Willen überreden. Aber…du bist sowieso da, warum nicht einfach ausprobieren? Es kostet nichts. Danach kannst du nach Hause gehen und mit der Blockflöte weitermachen, wenn es dir wirklich gefällt. Ich bin mir sicher, dass deine Mutter dich vollkommen verstehen wird. Sie schaute mich überrascht an. Wahrscheinlich hatte sie diese diplomatische Reaktion nicht erwartet. Ich frage mich heute noch, ob es eine Lüge war. Tatsache ist, dass sie heute noch begeistert Klarinette spielt und wir, trotz der Entfernung, noch im Kontakt geblieben sind.
– Die nächste Geschichte handelt von einem 13-jährigen Schüler. Er kam zur Probestunde und meinte: „Ich kann Klarinette spielen und ich habe es mir selbst beigebracht, aber ich kann keine Noten lesen und habe keine Ahnung von Rhythmus. Ich spiele nach Gefühl. In zwei Monaten muss ich die D1 Prüfung machen. Können Sie mir bitte helfen?“ Ich dachte, gerne, aber das Zeitfenster ist zu kurz! Nur zwei Monaten dafür! Also habe ich zuerst versucht, ihm zu erklären, dass ich ihm bei dieser Heldentat gerne geholfen hätte, aber dass eine regelmäßige Übung dafür unerlässlich war. Es war die reine Wahrheit. „Muss man dafür üben? „Übt man auch Klarinette?“ Ich war sprachlos und trotz des Schocks versuchte ich mit kühlem Kopf zu antworten. „Ja! Willkommen im Club! Ich gebe dir einen Übungsplan! Bist du etwa einer, der schnell aufgibt?“ „Nein“, meinte er! Das war ein schöner Start. Er gab sich große Mühe. Wie leider erwartet, konnte er sich bis zum Prüfungstermin nicht ausreichend vorbereiten, aber er entschied sich dafür, die Prüfung um ein Jahr zu verschieben. Er bestand sie erfolgreich! Sehr schön gemacht, Tom!
Eine andere große Frage, die oft Grund eines intensiven Austauschs ist, lautet: Sollen die Eltern dabei sein?
Meiner Meinung nach: Ja. Warum nicht!? Lassen wir die Schüler einfach selbst entscheiden. Wenn sie sich in einer neuen Situation so wohl fühlen, habe ich nichts dagegen. Ich finde generell, dass die Anwesenheit der Eltern in der ersten Stunde sehr hilfreich ist. Erstens, um uns kennenzulernen und diese menschliche Beziehung zu knüpfen und zweitens, weil sie viele neue und wichtige Informationen sammeln können, die hoffentlich zu Hause weiterhelfen. Drittens, aber nicht zuletzt, sie können im Unterricht mitmachen und mir helfen, den richten Zugang zu finden, falls die Kinder die neue Situation etwas überfordern sollte.
Für die erste Klarinettenstunde benutze ich immer Arbeitsblätter, die ich selber erstelle. Dann folgt die Überlegung: Welche Klarinetteschule passt am besten zu ihr/ihm?
Es kann wie eine dumme Frage klingen, aber ich habe in den Jahren gelernt, dass diese Entscheidung trotzdem eine große Rolle spielt.
Ich bin fest davon überzeugt, dass ein echtes Buch und Originalnoten stark motivieren können. Davon erzähle ich euch in dem nächsten Blogbeitrag.